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Meine Schwangerschaft mit Lina war eigentlich ganz normal. Der Tripletest war nicht ganz eindeutig und es wurde eine Fruchtwasseruntersuchung gemacht. Das Ergebnis war absolut unauffällig. Wir wussten nun, dass wir ein gesundes Mädchen zu erwarten hatten und haben die Zeit bis zur Geburt genossen. Zwischendurch wurden weitere Untersuchungen gemacht, da Lina kleiner als normal war.. Der einzige Unterschied zu meiner ersten Schwangerschaft war, dass Lina wesentlich ruhiger im Bauch war als ihre große Schwester Hanna. Zum errechneten Termin traten pünktlich die ersten Wehen ein. Innerhalb von wenigen Stunden erblickte mein Kind das Licht der Welt. Man legte mir einen winziges Menschlein von 48 cm auf die Brust. Auffällig waren ihre Sichelfüsse und die riesigen Storchenbisse auf beiden Augenlidern. Das komische Gefühl, welches versuchte sich in mir breit zu machen, ignorierte ich. Sehr bald stellte sich dann heraus, das mit Linas Hörfähigkeit etwas nicht stimmte. Sie reagierte nicht auf laute Geräusche, erschreckte sich nicht wie andere Babys. Ein Termin in der HNO Ambulanz der Klinik Krefeld war schnell gemacht. Dann fiel uns ein leichtes Zucken auf. Nichts dramatisches, halt so wie ein Kind das schon mal macht, wenn es träumt. Nach ein paar Wochen war aus den leichten, sehr einfach zu ignorierenden Zuckungen, viel mehr geworden. Wir sind zu unserem Kinderarzt gefahren, der uns direkt in die Kinderklinik nach Krefeld überwiesen hat. Dort bescheinigte man uns noch am gleichen Tag was wir so befürchtet hatten: Lina litt unter Epilepsie. Innerhalb weniger Tage verstärkten sich die Krampfanfälle so sehr, dass dies fast zu einem Dauerzustand wurde. Lina verlernte alles was sie sich bis dahin schon erarbeitet hatte. Nicht mehr ein Lächeln war noch übrig geblieben. Außer wenn diese furchtbaren Krämpfe kamen, da weinte und jammerte sie. Ansonsten zeigte sie keine Regung mehr. Sie zog sich immer mehr zurück und reagierte nur noch auf Schmerzen. Die Ärzte begannen nun die Ursache zu erforschen und gleichzeitig versuchten sie die Anfälle mit Medikamenten zu behandeln. Nach etlichen Untersuchungen ( CT , EEG , Hautbiopsie, Rückenmarkpunktur usw.) kam das Ergebnis der Chromosomenuntersuchung. Die Humangenetikerin der Kinderklinik bat mich um ein Gespräch und eröffnete mir die Wahrheit: Lina hat ein Chromosomendefekt, genannt 18q-. Es ist ein recht seltener Defekt. Damals gab es in ganz Deutschland rund 100 registrierte Fälle. Beim CT stellte man ferner fest, dass die kompletten Innenohren bei Lina fehlen. Der Grund ihrer Schwerhörigkeit war gefunden worden. Ein Arzt sagte mir, Lina  kann erst Geräusche wahr nehmen in der Lautstärke eines Jumbojets, welcher direkt über den Kopf hinweg fliegt.  Sie bekam kurz danach ihre ersten Hörgeräte. Diese wurden mit einem Stirnband von außen gegen die Gehörknochen gepresst, da nicht nur das Innenohr fehlte sondern auch die Gehörgänge zugewachsen waren. Insgesamt waren wir fast 4 Monate im Krankenhaus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heiligabend wurden wir entlassen und durften nach Hause fahren. Wir stellten uns unserem neuen Alltag und begannen mit den Behördengängen, füllten Anträge aus, verabreichten Medikamente und suchten nach guten Therapeuten. Allmählich gingen die Krämpfe zurück und wir begannen uns mit unserem neuen Leben zu arrangieren. 

Alle waren bemüht Lina wieder für die Welt außerhalb ihres Kopfes neugierig zu machen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am schlimmsten war es für sie wenn man versuchte ihre Hände zu berühren. Sie zuckte immer zurück und fing an zu weinen. Aber mit viel Geduld und Zeit wurde Lina immer offener für ihre Umwelt und begann auch mit knapp einem Jahr wieder zu lächeln. Dies war einer der schönsten Momente in meinem Leben. Viele andere Sachen sind parallel passiert. Das Scheitern meiner Ehe, der Verkauf unseres Hauses und vor allem, das große Leid meiner ersten Tochter das alles zu verkraften. Innerhalb eines Jahres wurde ihr ganzes bisheriges Leben umgekrempelt. Es tat mir so leid ihren Schmerz und ihre Traurigkeit zu erleben, doch ich stand dem letztendlich genauso hilflos gegenüber. Ich versuchte so gut ich konnte für sie da zu sein. Dies war nicht immer einfach. Gerade in den ersten beiden Jahren war Linas Immunsystem so schwach, dass wir oft wegen einer Erkältung ins Krankenhaus mussten. Mit knapp einem Jahr bekam Lina Neurodermitis. Es war teilweise so schlimm, dass ihr der Eiter über ihr kleines Gesicht lief. Mit 3 Jahren bekam sie Herpesinfektion. Bei Lina wirkte sich das nicht über einfache Bläschen auf den Lippen aus, sondern der ganze Mundinnenraum inklusive Rachen war vollkommen angeschwollen und vereitert. Selbst der heißgeliebte Nuckel wurde für sie zur Qual. Kein Essen und kein Trinken war mehr möglich. Lina wurde 2 Wochen künstlich ernährt und sie  hatte , trotz Medikamente, 10 Tage lang über 40 Grad Fieber. 

Aber auch das war irgendwann überstanden .

Je älter Lina wurde, desto stabiler wurde ihr Immunsystem. Natürlich gab es immer wieder Momente die für uns alle sehr schwer waren. Lina hat Klumpfüsse und wurde mehrfach deswegen operiert. Bei der letzten Op entwickelte sich eine schwere Nekrose an einem Fuß. Wir sind 2-3 Mal in der Woche mit dem Krankenwagen zur Klinik gefahren worden, damit die Haut abgetragen werden konnte. Es war eine sehr schmerzhafte Zeit für Lina.

Da Linas Hüfte nicht ausgebildet war, wurde sie  2006  operiert um die erste Seite aufzubauen.  In einer stundenlangen Operation wurde die rechte Beckenhälfte mehrfach aufgesägt und es wurden Keile eingesetzt um die Hüfte größer und runder zu machen. Parallel wurde der Oberschenkelknochen durchsägt und an die neue Hüfte angepasst. Lina lag 12 Wochen im Gipsbett und  sie war von der Taille abwärts bis zu den Füßen eingegipst. 

 

Das war eine sehr schwere Zeit für uns alle. Es gab immer wieder Probleme mit der Heilung. Die andere Seite haben wir , wegen der ganzen Komplikationen, nie machen lassen. Und werden es wohl auch nicht mehr in Angriff nehmen.

 

 

 

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